Dieser Mann macht Laune. Egal ob als Frontmann der legendären ‚Far‘ oder im Rahmen seiner Sologeschichten. Jonah Matranga ist ein musikalischer Tausendsassa, der schier unermüdlich seine in Musik gegossenen Träume und Wünsche mit seinem Publikum teilt. Denn das scheint ihm als Künstler neben der Musik das Wichtigste zu sein – die Nähe zu seinen Fans. Und die fallen schließlich in die Kategorie ‚supertreu‘ und feiern jede Note, die er ihnen schenkt. Ob laut oder leise ist dabei völlig egal – er berührt einen immer genau da wo’s pulsiert. Das dies auch genau seine Absicht ist, welche Platten er besonders mag und wie es um den ‚Emo an sich‘ steht, verriet uns Herr Matranga kurz bevor er auf der kleinen Bühne im Restaurant einen wahren Gefühlssturm entfachte, der nach dem Konzert auch die hintersten Plätze mit einem Lächeln im Gesicht in die Nacht entließ.
? Du machst ziemlich viel selbst. Gehe ich recht in der Annahme, dass du für die traditionellen Angebote der Musikindustrie nicht viel übrig hast?
Jonah Matranga (JM): Am Anfang hat mich das mehr verwirrt als jetzt. Als ich in der Post-Nirvana Zeitrechnung damit anfing, war in der Musikindustrie noch viel Geld da. Die Major-Labels waren sehr abenteuerlustig, ganz einfach schon deshalb, da sie sich nicht sicher sein konnten, was funktioniert und was nicht. Das hatte zufolge, dass ich zwar eigentlich immer in ziemlich seltsamen Bands spielte, wir aber trotzdem verhältnismäßig große Verträge bekamen. Heute können die großen Plattenfirmen nicht mehr viel für einen tun, es sei denn du bist ‚Lady Gaga‘ oder machst irgendetwas im Mainstream. Natürlich gibt es aber auch sehr populäre Indie-Bands. Ich persönlich aber habe mich bei Labels noch nie besonders gut aufgehoben gefühlt. Das hatte nichts damit zu tun, ob ich die Leute mochte, oder nicht. Ich habe ab einem bestimmten Punkt einfach gemerkt, dass immer dann, wenn ich das Gefühl verlor vierzehn zu sein und in einem Keller Musik zu machen, alles andere plötzlich keinen Spaß mehr macht. Das ist auch der Grund, warum viele Rockstars so jammern. Ganz einfach deshalb, weil sie am Anfang davon träumen, wie es sein wird ein Rockstar zu sein, aber plötzlich aufwachen und merken, dass es nicht so ist, wie sie es sich vorgestellt hatten. Sie arbeiten dann zwar immer noch hart, haben aber die ursprüngliche Magie verloren. Um gar nicht erst anzufangen zu jammern, habe ich daher beschlossen diese Magie nie zu verlieren. Ganz einfach deshalb, weil ich immer wieder diese extrem erfolgreichen Leute gesehen habe, die sich immer nur beschwert haben. Im Gegensatz zu vielen anderen Leuten habe ich sie dafür aber nicht verurteilt, denn ich weiß, dass dieses Leben nicht immer schön ist. Wenn also der spaßige Teil, der direkt von Herzen kommt, nicht mehr da ist, dann ist alles nur noch scheiße. Als ich anfing die Dinge selbst in die Hand zu nehmen wollte ich dadurch aber nicht beweisen, wie Punkrock ich bin. Ich wusste einfach, dass ich glücklich sein musste um das zu tun, was ich tun wollte. Letztendlich bedeutet das auch, sich nicht viel mit Business-Angelegenheiten herumschlagen zu müssen. Ich wollte damit aber keinesfalls einen auf Fugazi machen – und ich liebe Fugazi. Vielleicht hatten sie ja den gleichen Grund wie ich. Spaß muss es aber machen, denn tut es das nicht, dann würde ich es auch nicht machen.
? Wie wichtig ist dir die Nähe zu deinem Publikum?
JM: Ich habe viel darüber nachgedacht, warum ich das alles mache, schon allein deshalb, weil ich finde, dass es wichtig ist darüber nachzudenken, was man mit seinem Leben anfängt. Augenscheinlich hat jeder von uns ja nur eine Lebenszeit zur Verfügung. Ich nehme das also sehr ernst. Der Hauptgrund, warum ich das alles mache hat etwas damit zu tun, dass ich es einfach liebe um drei Uhr morgens mit einer Idee im Kopf aufzuwachen, um dann zu versuchen sie Realität werden zu lassen. Das ist der zentrale Anlass, warum ich mache, was ich mache. Ein weiterer Grund hat damit zu tun, wie gut es sich anfühlt, es dann auch anderen zu zeigen, sich hinzustellen und zu sagen: „Hier ist meine Idee“. Das ist wie, wenn ich als Fünfjähriger mein soeben gemaltes Bild meiner Mutter präsentierte. Im Endeffekt dreht sich immer noch alles darum. Meine Zuneigung für alle, die sich meine Musik anhören und sich für sie interessieren ist deswegen so groß, weil es mir so am Herzen liegt. Das ist für mich etwas ganz Besonderes, auch aus der Perspektive des Musikfans. Wenn ich einen Künstler mag, dann bin ich ihm sehr verbunden. Wenn ich dann Fans treffe, die den gleichen Glanz in den Augen haben, den ich auch habe, wenn ich einen Künstler treffe, den ich sehr bewundere, dann ist es einfach, sich daran zu erinnern, wie es mir in einer solchen Situation geht. Ich kann ihnen also den Tag dadurch versüßen, indem ich cool zu ihnen bin. Das fällt mir nicht schwer, da ich zum einen sehr dankbar für alles bin, zum anderen aber selbst auch einfach nur ein begeisterter Fan bin. Ich genieße diese enge Verbindung zu meinen Fans aus genau diesen zwei Gründen. Ohne sie kann nämlich alles schnell einfach nur zu einem komischen Geschäft werden, in dem sich alles nur um vermeintliche Superstars dreht. Ich glaube, dass macht dann aber nicht mehr wirklich Spaß.
? Was ist das hauptsächliche Gefühl, das du durch deine Songs zum Ausdruck bringen willst?
JM: Es geht um Bescheidenheit und um die Tatsache, sich selbst nicht allzu ernst zu nehmen. Wenn ich es genauer betrachte, dann habe ich eigentlich immer nur darüber geschrieben. Wir sind schließlich ein Haufen unvollkommener Streber und die einzige Chance, die wir auf wahre Liebe haben, ist zuzugeben, dass wir mitnichten perfekt sind und uns dafür aber alle gleichermaßen lieben sollten. Das ist eigentlich auch schon alles, worüber ich schreibe. Ich tue das entweder auf persönlicher Ebene, indem ich über mich schreibe, oder ich denke dabei an meine Tochter. Viele Liebeslieder, die ich geschrieben habe, sind daher keine Anti-Liebeslieder, aber eben auch nicht perfekt. Nimm das Stück ‚I Want You To Be My Witness‘. Da geht es darum, sich davon zu verabschieden, perfekt sein zu wollen. Ich sage das meinem Publikum bei den Shows ja auch ganz offen: „Ich hoffe, ihr seid heute auf dem Nachhauseweg weniger selbstsicher als vorher und auch noch glücklich darüber.“
? Welche Musik hört eigentlich deine Tochter?
JM: Hip Hop. Wir haben da ein ziemlich cooles Spiel am Laufen. Sie begeistert mich für coolen Underground-Hip Hop und ich spiele ihr Sachen vor, die ich irgendwo aufgeschnappt habe. Als sie noch sehr klein war, mochte sie alles, was ich ihr vorspielte. Dann wollte sie es irgendwann nicht mehr hören und fing stattdessen an, klassischen Teenager-Pop zu hören. Das war süß. Im Anschluss kam eine Phase, in der sie durch Freunde auf der High School wieder anfing Platten zu hören, die ich ihr schon fünf Jahre zuvor vorgespielt hatte, die sie damals aber nicht mochte. David Bowie ist da ein gutes Beispiel. Für solche Sachen ist sie jetzt also auch offen. Sie hat aber so gut wie noch nie eine CD gekauft, denn das läuft alles über ihren iPod, was wiederum zur Folge hat, dass sie von bestimmten Stücken zwar jedes Wort mitsingen kann, den Künstler aber partout nicht kennt. Das ist eine ganz andere Erfahrung der Musik. Ich frage sie aber während des Autofahrens manchmal aus, nur um sicher zu gehen, dass sie zum Beispiel Bands wie Van Halen erkennt.
? Im Jahr 2009 hast du via iTunes einen Song mit dem Titel ‘I Believe Barack Obama’ veröffentlicht. Glaubst du, dass er im November wiedergewählt wird und unterstützt du ihn persönlich diesmal genauso, wie du es damals getan hast?
JM: Das Gefühl, als er 2008 gewonnen hatte kann und wird sich nicht mehr wiederholen. Jeder, mich eingeschlossen, hatte seine Hoffnung und Träume auf ihn projiziert. Nachdem sich die Aufregung gelegt hatte, wurde natürlich schnell klar, dass auch er einfach nur ein weiterer Präsident ist, der nicht perfekt ist. Ich bin aber immer noch ein großer Unterstützer von ihm und sehe das alles eher realistisch. Im historischen Zusammenhang wird seine Präsidentschaft immer als etwas unglaublich wunderbares hervorstechen. Vielleicht wird er die kommende Wahl aber auch einfach nur deshalb gewinnen, weil der republikanische Kandidat so dermaßen schrecklich ist. Wenn es aber eine Sache gibt, die zumindest einige Amerikaner gelernt haben, dann die Tatsache, dass wir so oder so am Arsch sind. Viele dachten durch Obamas Wahl wird alles perfekt, wurde es aber nicht. Unsere Demokratie hat viele Fehler und trotzdem funktioniert sie. Ohne sie wäre dieses große Land mit seinen vielen Baustellen über die letzten fünfzig Jahre nicht die globale Supermacht geworden, die es ist. Wir müssen uns also daran gewöhnen. Leider tendiert ein wachsender Teil unseres Landes in eine äußerst rassistische und nationalistische Richtung. Wir kennen das Problem ja alle. Wenn man anfängt, für die eigenen Probleme Menschen verantwortlich zu machen, die anders aussehen, dann führt das zu nichts Gutem. Für mich ist Obama eine Person der Zukunft. Er wurde von einem Typen aus Kenia und einer Frau aus Kansas aufgezogen. Er hat also viele verschiedene Wurzeln. Ich glaube, nein ich weiß, dass die Menschen in zehn Jahren mehr wie er, als wie ich aussehen werden. Wir können also viel von ihm lernen. Er hat diese Last mit viel Anmut geschultert. Ich bewundere ihn immer noch. Vor kurzem habe ich ihn bei einer Wahlkampfveranstaltung gesehen. Er war ziemlich süß und sagte, er habe nie versprochen ein perfekter Präsident zu sein. Was er aber versprochen habe sei die Tatsache, dass er jeden Tag morgens aufstehen werde, um das Beste zu geben, damit unsere Welt ein klein wenig besser wird. Und er merkte an, dass er dieses Versprechen gehalten habe. So etwas rüttelt mich immer noch wach. Viele Leute haben mich auf den Song angesprochen und gemeint, ich würde an Barack Obama glauben. Das ist aber nicht so. Er ist ja nicht der Weihnachtsmann. Ich glaube also nicht an ihn, sondern ich glaube ihm und das tue ich immer noch. Wenn er spricht, dann glaube ich ihm. Ich glaube, dass er alles gibt was er kann, für ein großes Land, das um seine Identität in dieser Welt ringt.
? Mit der nächsten Frage kommen wir zurück zur Musik. Viele Leute hofften ja schon lange auf eine Reunion von ‚Far‘. Dann kam sie und Kritiker witterten schnell finanzielle Interessen. Was mich allerdings viel mehr interessiert, ist das Gefühl, das du hattest, als du bei der ersten Show nach der Wiedervereinigung wieder auf der Bühne gestanden hast?
JM: Es war wunderbar. Um viel Geld ging es dabei ja sowieso nicht. Ich erzähl dir mal, wie das mit ‘Far’ so war. Das war ja schon eine lustige Angelegenheit, als wir noch das erste Mal zusammen waren. Die Leute dachten damals nämlich immer, dass wir größer sind, als wir tatsächlich waren. Was glaubst du, wie viele Platten wir von ‚Water and Solutions‘ verkauft haben? Rate mal, einfach nur so zum Spaß.
? Vielleicht 40 000 Stück?
JM: Du bist von allen bisher am nächsten dran. Wir haben 25000 Platten verkauft. Die Schätzungen der Leute beliefen sich aber regelmäßig auf 250000. Das passierte in Interviews die ganze Zeit. Wir haben immer darüber Witze gemacht, dass wir im Verhältnis, die am wenigsten verkauften Platten in Relation zu den meisten Fanseiten im Internet haben. Das Ganze war aber nie wirklich populär. Die Leute, die es liebten, liebten es einfach. Streng genommen waren es ja auch nicht alle, sondern nur ein paar, die nach einer Wiedervereinigung verlangten. Eben diese Leute waren es auch, die davon ausgingen, dass es eine große Sache werden würde. Mir war aber immer klar, dass es eben nicht das große Ding wird. Nichtsdestotrotz waren selbst einige innerhalb der Band ganz gespannt, ob es nicht vielleicht doch noch eine große Nummer werden könnte. Ich war ja immer viel auf Tour und wusste daher, dass es da draußen zwar mit Sicherheit ein paar eingefleischte Fans gibt, eine Wiedervereinigung aber mit Sicherheit kein Ereignis war, auf das die ganze Welt gewartet hat. Ich hatte bei der Geschichte also keine Erwartungen und konnte daher auch jede Sekunde genießen, die ich auf der Bühne stand. Ich liebe es einfach Krach zu machen und ich liebe die Songs. Wir hätten aber keine neue Platte aufnehmen sollen. An dieser Stelle muss ich auch ehrlicherweise sagen, dass ich das eigentlich nicht wollte. Ich wollte spaßeshalber ein paar kleine Konzerte spielen und zudem meinen Traum verwirklichen und mit der Band auf ein paar Festivals spielen. Ganz einfach, damit uns so viele Fans wie möglich hätten sehen können. Heutzutage dreht sich ja sowieso alles um Festivals, da sie die Ereignisse sind, zu denen jeder hingeht. Am Ende wurden wir von alledem aber wie immer etwas überrollt. Ohne dabei auf jemandem mit dem Finger zu zeigen, gab es ein paar von uns in der Band, die unbedingt berühmt werden wollten. Ich sage ja noch nicht mal, dass das prinzipiell etwas Schlechtes ist, der andere Teil von uns wollte aber einfach nur Spaß haben. Diejenigen, die vorhatten berühmt zu werden, wollten es aber noch einmal wirklich wissen. Die Platte entstand also aus einer Stimmung heraus, größer sein zu wollen, als sie meiner Meinung nach tatsächlich war. Trotzdem bin ich natürlich stolz auf die Platte und mag sie musikalisch sehr. Wenn ich sie mir heute anhöre, dann klingt sie nach ein paar Typen, die versuchen irgendwie miteinander auszukommen. Unsere beste Platte war sowieso ‘Water and Solutions’. Sie war der perfekte Querschnitt all unserer Persönlichkeiten und ist daher eine sehr besondere Platte, auf die ich sehr stolz bin und die ja sehr einflussreich war. Ich verkaufe sie daher auch nicht unter Wert, wenn ich aus heutiger Sicht feststelle, dass sie nie wirklich populär war und es wohl auch nie sein wird, schon allein deshalb, weil es sich dabei um die Musik von Außenseitern handelt. Das ist ja keine coole Musik, streng genommen ist sie sogar seltsam und verrückt.
Aber zurück zu deiner Frage nach meinem Gefühl, wieder mit ‘Far’ auf der Bühne zu stehen. An die ersten Augenblicke kann ich mich noch gut erinnern. Das war in einem sehr kleinen Club in ‘Pomona’, einer Stadt bei Los Angeles. Kein großer Ort. Das Konzert war nicht ausverkauft, aber das Publikum war der Hammer. Die Leute waren voll dabei. Ich werde das nie vergessen. Jede Minute auf der Bühne zu stehen und zusammen mit den Leuten zu schreien war großartig und wird auch immer großartig bleiben.
? Stichwort: ‚Emo.‘ Bist du genervt von dieser Bezeichnung, oder geht das schon klar?
JM: Um ehrlich zu sein, war ich immer irgendwie dankbar dafür, wenn sich jemand einen Dreck um meine Ideen geschert hat. Mich hat es nie wirklich berührt, ob man meine alte, oder neue Band mochte oder nicht. Es war mir auch egal, wenn man mich als Emo bezeichnete. 1996 gab es einen Artikel mit einem kleinen Foto von mir im ‚Kerrang‘ Magazin. Darin wurde ich als der ‚The King of Emo‘ bezeichnet. Anno 1996 kannte aber noch niemand diesen Begriff. Die Leute riefen mich daher buchstäblich an um nachzufragen, was ‚Emo‘ überhaupt bedeute. Ich wurde also als etwas tituliert, von dem niemand so recht wusste, was es eigentlich war. Im Jahr 2000 oder auch 2001 stand dann ein Kid im Publikum, das wirklich betrunken war. Ich habe ihn von der Bühne aus angesprochen und gefragt, was er hier eigentlich genau macht. Er antwortete: „I love tequila and I love emo.“ Ich habe dann umgehend folgende Ansage gemacht: „Liebes Publikum, diesen Tag solltet ihr euch rot im Kalender anstreichen, denn genau ab heute kann man sagen – Emo is dead.“
? Bitte verrate mir deine ‚all time favorite top three records‘.
JM: Erst mal wären da ‚Physical Graffiti‘ von Led Zeppelin und ‚Sign ‘O’ the Times‘ von Prince. Wir sprechen hier ja schließlich über Lieblingsplatten und nicht über die Besten. Den ‚Sign ‘O’ the Times‘ ist nicht sein bestes Album, aber meine Lieblings-Prince-Platte. Und dann auf jeden Fall noch Miles Davis ‚In A Silent Way‘.